„Neue Technologien – Chancen und Risiken für den Arbeitsschutz?“
Die Binnenschifffahrt steht vor großen Herausforderungen. Sie muss sich für die Energiewende aufstellen und gleichzeitig Lösungen für den Fachkräftemangel finden. Auf der Branchenkonferenz Binnenschifffahrt der BG Verkehr suchten Wissenschaftler und Praktiker nach gangbaren Wegen. Immer im Mittelpunkt: Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz für die Beschäftigten.
Die Binnenschifffahrt gilt gemeinhin als umweltfreundlich, dennoch steht auch sie – wie andere Verkehrsträger auch – vor der Herausforderung, wie die Energiewende umgesetzt werden kann und welcher Energieträger das Binnenschiff der Zukunft antreiben wird. Eine weitere Herausforderung ist der Fachkräftemangel, verbunden mit der Frage, ob er sich durch Digitalisierung und Automatisierung entschärfen ließe oder entschärfen lässt.
Mit diesen beiden Trends und der Aufgabe, wie sich dabei die Arbeitssicherheit und der Gesundheitsschutz für die Besatzungen umsetzen lässt, beschäftigte sich die zweitägige Branchenkonferenz Binnenschifffahrt, zu der die BG Verkehr gemeinsam mit der Sektion für Prävention im Transportwesen der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS) in ihre Hauptverwaltung in Hamburg eingeladen hatte. Die Veranstaltung traf den Nerv der Binnenschiffer. Trotz Bahnstreiks reisten fast 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an. Ebenso viele Teilnehmende verfolgten die Branchenkonferenz per Liveübertragung.
Bis 2050 sollen die Treibhausgase und andere Schadstoffe weitgehend eliminiert werden. „Anders als im Straßenverkehr kann die Energiewende in der Binnenschifffahrt nicht allein durch Neubauten erfolgen“, wird vom Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme (DST) in Duisburg mit Blick auf das hohe Durchschnittsalter und die Langlebigkeit der deutschen Binnenschiffe vertreten.
Auch ein Umstieg auf moderne Motoren reiche nicht, um das Ziel zu erreichen. Ein Motorenwechsel bringe zwar viel bei den Luftschadstoffen, aber fast nichts bei der Dekarbonisierung. Einschneidende Verbesserungen ließen sich nur durch den deutlich verstärkten Einsatz alternativer Energien erreichen. Dazu wurden drei Szenarien im Hinblick auf die Emissionsziele verglichen. Die gute Nachricht: Bereits bei einem konservativen Pfad, der auf Kraftstoffe und Technologien setzt, ist bis 2050 eine CO2-Reduzierung um 91 Prozent möglich. Schlüsseltechnologien sind hierbei der Einsatz von modernem Biodiesel (HVO) in Dieselmotoren mit Abgasnachbehandlung und der Einsatz von aus regenerativer Energie gewonnenem Flüssiggas (LMG) in Gasmotoren. Aufgezeigt wurde auch, dass die alternativen Kraftstoffe auch Nachteile und neue Gefährdungen für Besatzung und Umwelt bringen. Ein weiterer Nachteil sind die Mehrkosten einer klimafreundlichen Binnenschifffahrt.
Alternative Antriebe im Einsatz
Pro und Contra Wasserstoff
Als ein Kraftstoff der Zukunft kommt auch Wasserstoff in Frage. Wasserstoff sei nicht giftig oder reizend, habe keine schädigende Wirkung auf die Atemwege, sei nicht krebserregend und dazu noch umweltneutral, wurde auf der Konferenz betont. Gefahren ergeben sich aus der extremen Brennbarkeit und seiner Fähigkeit, explosive Gemische mit Luft einzugehen. Darüber hinaus könne verflüssigter Wasserstoff bei Kontakt mit dem Körper schwere Erfrierungen hervorrufen. Wasserstoff sei nicht gefährlicher als andere Energieträger, wenn seine besonderen Eigenschaften bekannt sind und bei der technischen Umsetzung sowie Handhabung berücksichtigt werden und die Nutzer über die Risiken aufgeklärt und gründlich geschult werden.
Methanol
Unmittelbar vor seiner Bewährungsprobe als Schiffskraftstoff steht das Methanol, was anhand der Erfahrungen mit dem Forschungsschiff „Uthörn“ gezeigt wurde. Die „Uthörn“ wird auf der Nordsee eingesetzt und wurde bereits 2021 mit dem „Blauen Engel“ zertifiziert.
Elektromotoren
Elektromotoren bzw. diesel-elektrische Antriebe für größere Reichweiten sind bereits in der Fahrgast- und Fährschifffahrt im Einsatz. Mit Hilfe eines Landanschlusses ist es möglich, Akkumulatoren an Bord einer Fähre während der Be- und Entladezeiten nachzuladen. Nötig sind allerdings umfangreiche Elektroinstallationen, die von einer herkömmlich ausgebildeten Besatzung weder gewartet noch repariert werden können.
Mit Automatisierung im 24-Stunden-Betrieb?
Der Arbeitsmarkt ist auch in der Binnenschifffahrt hart umkämpft. Das Abwerben guter Schiffsführerinnen und Schiffsführer ist keine Ausnahme. Hier stellt sich dann die Frage, ob durch Digitalisierung und Automatisierung das Bordpersonal unterstützt oder sogar ersetzt werden kann.
Neben dem Fachkräftemangel gibt es weitere Motive für die Automatisierung, wie das Wachstumspotenzial und die Konkurrenzfähigkeit zu anderen Verkehrsträgern, die ebenfalls automatisieren. Schiffe, die mit Automatisierungstechnik im 24-Stunden-Betrieb fahren, seien daher ein Wettbewerbsvorteil.
Es werden fünf Automatisierungsstufen unterschieden. Diese reichen von der Steuerungsunterstützung bis hin zur Vollautomatisierung auf unbemannten Binnenschiffen. Benötigt werden hierzu Sensoren zur Bestimmung der eigenen Position, Lage und Geschwindigkeit sowie zur Erfassung der Umgebung (Kameras, Echolot, Radar, Lidar etc.) sowie Schnittstellen zu Antriebs- und Manövrierorganen. Ferner müsste die Steuerung mithilfe von entsprechender Soft- und Hardware sowie Steuerungsalgorithmen auf den Automatikbetrieb umgestellt werden.
Die Vision von unbemannten oder nicht vollständig bemannten Binnenschiffen wurde kontrovers diskutiert. Vor allem Themen wie der schnelle Eingriff und die Verantwortung wurden angesprochen und die Frage gestellt: Müssen wir alles digitalisieren, was wir können, oder nur das, was wir wollen? Digitalisierung muss für den Menschen da sein und nicht umgekehrt. Außerdem muss bei der Ausbildung und der Frage der Befähigungen darauf Rücksicht genommen werden.
Schlussrunde (v. l.): Renate Bantz, Dr.-Ing. Rupert Henn, Julia Kroll, Enrico Munck, André Stäudtner, Dr. Petra Nethövel-Kathstede, Holger Bessel
Fazit
Zum Abschluss wurde deutlich, dass gesellschaftliche, politische und technische Entwicklungen, auch solche für den Klimaschutz, die Bedeutung von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit nicht relativieren dürfen. Die BG Verkehr wird die Unternehmen der Binnenschifffahrt auch bei den Herausforderungen der Zukunftstechnologien begleiten.
Referentinnen und Referenten:
Holger Bessel, BG Verkehr
Matthias Cammann, Fassmer Maritime
Benjamin Friedhoff, Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme (DST)
Thomas Haupt, Siemens Energy
Dr.-Ing. Rupert Henn, Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme (DST)
Torsten Klenn, WSP NRW
Maurits van der Linde, Koninklijke Binnenvaart Nederland und Platform Zero Incidents (PZI)
Dr.-Ing. Anna Loewe, sicherheitstechnische Beraterin
Guido Meyer, WSP NRW
Dr. Petra Nethövel-Kathstede, Bundesministerium für Digitales und Verkehr
Dr. Florian Schweden, Institut für Arbeitsgestaltung und Organisationsentwicklung
Christian Schmidt, Fassmer Maritime
Weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Diskussionsrunde:
Julia Kroll, Kroll-Schifffahrt
Enrico Munck, Arosa Reederei
André Stäudtner, BG Verkehr
Flyer zur Branchenkonferenz Binnenschifffahrt 2024
Artikelaktionen