Branchenkonferenzen Luftfahrt
"Abfertigung 4.0 – Vorfeld im Wandel"
Bereits auf der Branchenkonferenz Luftfahrt im Mai 2017 wurde ausgiebig darüber diskutiert wie man Luftfahrzeuge möglichst sicher abfertigen kann. Zum Ende der Konferenz wurden die Gäste um ein Feedback gebeten: Soll es weitere Branchenkonferenzen geben? Und welche Themen gewinnen an Relevanz? Einhellig fiel das Votum für eine Fortsetzung der Branchenkonferenzen aus. Bei der zweiten Frage ergab sich ein deutlicher Schwerpunkt, Innovationen und Digitalisierung in den Blick zu nehmen. Wie sehen Betreiber und Hersteller von Luftfahrtbodengeräten die Entwicklungen, vor allem im Zusammenspiel mit den Themen Personalgewinnung und -bindung im Abfertigungsbereich? Die Planungs- und Projektgruppe stellten genau diese Themen in den Mittelpunkt der Branchenkonferenz für 2019. Ergänzend kamen die Bereiche der Unterstützersysteme dazu, die nicht nur im Zeitalter des demografischen Wandels möglicherweise Anwendung finden könnten.
Der Einladung zur Branchenkonferenz im November 2019 folgten rund 100 Gäste:
- Expertinnen und Experten aus nationalen und europäischen Aufsichtsbehörden und Verbänden
- Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie Beschäftigte von Luftfahrtunternehmen, Flughäfen und Abfertigungsgesellschaften
- Hersteller von Luftfahrtbodengeräten und Fahrzeugen
Auftakt zur Konferenz
Begrüßungsworte aus den Reihen der Selbstverwaltung und aus dem Geschäftsbereich Prävention der BG Verkehr führten in die Plenumsvorträge der Referentinnen und Referenten ein. Nach einem Startvortrag über "Menschen und Technik im Umbruch" folgten drei Blöcke mit je drei Beiträgen:
- "Neue Arbeitsmittel und Arbeitshilfen": Einblicke in elektrobetriebene Luftfahrtbodengeräte, teilautonom fahrende Fluggasttreppen und autonom fahrende hochautomatisierte Shuttles für den Personentransport
- "Fokus Mensch": Personalgewinnung, Gefahrenwahrnehmung auf dem Vorfeld und die Komponente Mensch in der Abfertigung generell
- "Unterstützersysteme": Möglichkeiten des Einsatzes von Exoskeletten und Erfahrungen mit ihrem Einsatz an verschiedenen Verkehrsflughäfen
Nach einer intensiven Diskussion im Plenum wurden diese Themenfelder in drei vertiefenden Workshops am Nachmittag weiterbearbeitet.
Workshop 1: Neue Arbeitsmittel und Arbeitshilfen
Hersteller und Betreiber von Abfertigungsgeräten sind mit vielseitigen Herausforderungen konfrontiert. Erhöhte Anforderungen an Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz bei knappen Personalressourcen erfordern neue Lösungsansätze. Die Entwicklung alternativer Antriebe und automatisierter Fahrzeuge für den Einsatz auf dem Vorfeld schreitet mit großer Dynamik voran. Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten müssen dabei im Blickfeld bleiben. Unter diesen Gesichtspunkten sollten die Anforderungen an die Beschaffenheit und den Betrieb von Geräten diskutiert und Trends für die Entwicklung des Regelwerks und der Normung aufgegriffen werden.
Empfehlungen und Forderungen:
- Definition sicherheitstechnischer Anforderungen an automatisierte Fahrzeuge und Geräte, zum Beispiel konkretisiert über harmonisierte Normen
- Unfallgeschehen durch immer höheres Luftverkehrsaufkommen vermeiden durch verstärkte Nutzung von aktiven Assistenzsystemen
- Beschäftigte der Abfertigung und der Werkstatt besser an mobilen Hochvoltanlagen und automatisierten Systemen der "Neuen Arbeitswelt" qualifizieren
- Anpassung verbindlicher Rechtsvorschriften im staatlichen und autonomen Regelbereich
Workshop 2: Fokus Mensch
Der Fachkräftemangel ist in der Flugzeugabfertigung deutlich zu spüren. Damit ist die Rekrutierung, Qualifizierung und Bindung von Personal ein Wettbewerbsfaktor für Bodenverkehrsdienste. Um dieser Situation gerecht zu werden, muss der gesamte Prozess der Personalrekrutierung ebenso wie das Anforderungsprofil an potenzielle Bewerber neu gedacht werden. Welche Befähigung müssen beispielsweise neue Beschäftigte mitbringen, um erfolgreich in die Arbeitsprozesse der Flugzeugabfertigung integriert zu werden? Wie können die erforderlichen Kompetenzen und Fertigkeiten gezielt vermittelt werden, um komplexe Arbeitsprozesse zuverlässig und sicher zu gestalten? Wie können den Beschäftigten attraktive Entwicklungsperspektiven und ein positives Arbeitsumfeld geboten werden?
Empfehlungen und Forderungen:
- Bereits bei der Personalakquise auf attraktive Rahmenbedingungen hinweisen
- Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei leistungsgerechter Bezahlung sicherstellen
- Aus- und Weiterbildung ermöglichen und in Aussicht stellen
- Sichere Arbeitsumgebung schaffen durch die richtige Auswahl von geeigneten Arbeitsmitteln und PSA mit hoher Akzeptanz sowie eine gut strukturierte betriebliche Ablauforganisation
- Einsetzen von Führungsverantwortlichen mit bewusster Vorbildfunktion und als Ansprechperson auf Augenhöhe
Workshop 3: Unterstützersysteme und technische Hilfen
Viele Arbeitsabläufe auf der Abfertigungsposition bringen aus ergonomischer Sicht hohe Belastungen mit sich. Untersuchungen zeigen, dass viele Lastgewichte, die händisch manipuliert werden müssen, immer größer und schwerer werden. Unterstützersysteme, technische Hilfen und optimierte Bodengeräte könnten die Belastung reduzieren, ihre Erprobung scheitert jedoch häufig an den komplexen Randbedingungen der Abfertigungsprozesse. Aber wo geht die Reise hin? Welche Systeme werden die Beschäftigten zukünftig bei ihrer täglichen Arbeit effizient unterstützen können?
Empfehlungen und Forderungen:
- Bei der Beschaffung neuer Geräte unbedingt darauf achten, dass zulässige Gewichtsempfehlungen bei handgezogenen Einheiten nicht überschritten werden
- Geräte mit eigenem Fahrantrieb auswählen
- Wo es möglich ist, Exoskelette als Unterstützersysteme einsetzen
- Exoskelette/Unterstützersysteme so auswählen, dass sie optimal an die Anforderungen der Arbeitsabläufe angepasst sind
- Bei der Beschaffung geeigneter Unterstützersysteme und Arbeitsmittel die Folgekosten durch Ausfallzeiten berücksichtigen (ergonomische Mängel, Fehlbelastungen, und Unfallgefahren in die Bewertung der Angebote einbeziehen)
- Auf Beratungsangebote der BG Verkehr und auf betriebliche Erfahrungen anderer Abfertigungsgesellschaften zurückgreifen
Ergebnisse der Konferenz:
Stand April 2020
- Einbringen in die Gremienarbeit, beispielsweise dem "Sachgebiet Luftfahrt und Flugplätze" sowie der "Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV)"
- Vermittlung in Seminaren und Fachveranstaltungen, z.B. DGUV Fachgespräche für Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte an deutschen Verkehrsflughäfen
- Berücksichtigung bei der Aktualisierung der Luftfahrt-Regelwerke und -Informationen
- Konkretisierung sicherheitstechnischer Anforderungen und Weitergabe an das Deutsche und Europäische Normungsgremium für Luftfahrtbodengeräte
Flugzeuge sicher abfertigen – Zusammenarbeit und gemeinsame Nutzung von Arbeitsmitteln
An der Abfertigung von Verkehrsflugzeugen sind meist mehrere Unternehmen gleichzeitig mit eng miteinander verzahnten Arbeitsprozessen beteiligt. Sensible technische und organisatorische Schnittstellen entstehen besonders dort, wo Arbeitsmittel an das Luftfahrzeug herangefahren oder z.B. durch Versorgungsleitungen mit diesem verbunden werden.
In Plenumsvorträgen und Workshops setzten sich die Teilnehmer intensiv mit der Frage auseinander, wie die Zusammenarbeit von Fluggesellschaften und Bodendiensten verbessert werden kann, um die Sicherheit und Gesundheit der beteiligten Beschäftigten zu gewährleisten, Sachschäden zu verhindern und die Prozesse wirtschaftlich zu gestalten.
Teilnehmer:
- Vertreter von Luftfahrtunternehmen, Flughäfen und Abfertigungsunternehmen sowie von Herstellern von Luftfahrtbodengeräten und Luftfahrzeugen
- Experten von Aufsichtsbehörden und Verbänden
Plenumsvorträge
In sechs Impulsvorträgen wurden die Anforderungen an sichere Arbeitsprozesse und Arbeitsmittel aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet: aus der Warte des Flughafenbetreibers, der Personalvertretung, der gesetzlichen Unfallversicherung, der betrieblichen Arbeitsschutzexperten und der Arbeitsschutzvorschriften.
Schwerpunkte:
- die kritische Arbeitssituation von Lademannschaften in Laderäumen von Verkehrsflugzeugen
- beispielhafte Vorgehensweisen zur Abstimmung der Gefährdungsbeurteilung zwischen Fluggesellschaft, Verkehrsflughäfen und Abfertigern
- Handlungskonzept zum Gewitterschutz am Flughafen als Positivbeispiel
Workshop 1: Das richtige Gerät auswählen – Wie beeinflussen sich Arbeitsprozesse und technische Anforderungen an Geräte?
Je spezifischer die Abfertigungsprozesse, desto umfassender sind die konstruktiven Anforderungen an die eingesetzten Arbeitsmittel. So sind bei der Auswahl und Beschaffung eine Vielzahl von Gesichtspunkten zu berücksichtigen, z.B.
- die Realisierung von Absturzsicherungen beim Übergang von Arbeitsplattformen zu Türen oder anderen Öffnungen des Luftfahrzeugs
- erforderliche Verschiebekräfte bei manueller Lastenhandhabung
- sichere Verkehrswege und Zugänge
- Lärmemission, Schadstoffbelastung und elektrische Sicherheit
Diese Anforderungen ergeben sich aus harmonisierten EU-Produktvorschriften, nationalen Rechtsvorschriften wie z.B. der Betriebssicherheitsverordnung, luftfahrtrechtlichen Bestimmungen und nicht zuletzt den Vorgaben der Fluggesellschaften.
Empfehlungen und Forderungen:
- besondere Verantwortung ist beim Unternehmer und seinen Auftragnehmern (Einkauf, Fachkräfte Arbeitssicherheit, Arbeitsmediziner) zu sehen
- Beschaffungsprozess sollte optimiert werden, mit positiver Auswirkung auch auf Wirtschaftlichkeit und Effizienz
- fundiertes Lastenheft für Anforderungen an Arbeitsmittel
- Vermittlung von Informationen und Fachkenntnissen an alle Beteiligten
- regelmäßige kritische Beleuchtung von Arbeitsmitteln und Arbeitsabläufen, um dem Unternehmer die Anpassung an veränderte Anforderungen beim Einsatzbereich oder an den Stand der Technik zu ermöglichen
Workshop 2: Frachtraumböden, Fördertechnik, Zugänge und Co. – Wie müssen Luftfahrzeuge für Abfertigungsunternehmen sicher gestaltet werden?
Die Teilnehmer stellten übereinstimmend fest, dass bei der Ausgestaltung von Fracht- und Laderäumen in Luftfahrzeugen der Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Lademannschaften nicht ausreichend berücksichtigt wird. Nahezu jedes Fracht- oder Gepäckstück, das innerhalb eines Flughafens umgeschlagen wird, muss händisch bewegt werden. Kritisch wird es z.B., wenn Lademannschaften Schwerstarbeit in Zwangshaltung ausüben, Frachtraumböden nicht sicher begangen werden können oder Fördersysteme außer Betrieb sind. Die Rahmenbedingungen lassen oft keinen Spielraum zur Gestaltung der erforderlichen Schutzmaßnahmen wie z.B innovative externe Ladetechnologien, die die Hersteller durchaus anbieten. Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung können die Defizite der Arbeitsplatzgestaltung nicht ausreichend kompensieren.
Empfehlungen und Forderungen:
- Kontakt und fachlicher Austausch mit den Zulassungsbehörden für Luftfahrzeuge suchen, um technische Mindestanforderungen zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit bei Ladearbeiten im Luftfahrzeug verbindlich zu machen
- schnelle Durchsetzung behördlicher Regelungen, damit die unter starkem Wettbewerbsdruck stehenden Fluggesellschaften nicht aus Kostengründen nur minimale Standard-Konfigurationen nutzen – besonders angesichts der internationalen Prägung des Luftverkehrs und des oft Jahrzehnte dauernden Einsatzes von Luftfahrzeugen
Workshop 3: Abfertigungsprozesse gestalten – Stehen Airline und Abfertiger gemeinsam in der Pflicht?
Die Diskussionen dieses Workshops waren eindeutig durch das Schlagwort „Koordination“ geprägt. Jeder an der Abfertigung beteiligte Unternehmer ist verpflichtet, die gesetzlichen Rahmenbedingungen einzuhalten und soweit erforderlich, die Maßnahmen zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit beim Turnaround mit allen anderen Gewerken abzustimmen. Koordinationsmaßnahmen sind insbesondere abgestimmte Gefährdungsbeurteilungen, aber auch regelmäßige Abstimmungsgespräche (airport safety committee) zwischen Vertretern der Unternehmen am Flughafen sowie ein konsequentes Hinwirken auf die Umsetzung der gemeinsam festgelegten Arbeitsprozesse.
Als Auftraggeber der beteiligten Unternehmen trägt die Fluggesellschaft eine besondere Verantwortung für die Festlegung von Abläufen, Verhaltensweisen und abgestimmten Schutzkonzepten. Sie ist vor allem verpflichtet, einen Koordinator zu bestellen, der unmittelbar auf der Abfertigungsposition die Einhaltung der Vorgaben überwacht.
Der rechtliche Rahmen ist über nationale Arbeitsschutzvorschriften gegeben, wobei sich eine Synergie mit verkehrsrechtlichen Koordinationsstandards zur störungsfreien Abfertigung ergibt. Die praktische Umsetzung dieser Vorgaben zeigt jedoch nach Auffassung der Teilnehmer häufig erhebliche Schwächen, z.B. hinsichtlich der Qualifikation und des Durchsetzungsvermögens des Koordinators sowie der umfassenden Information aller Beteiligten.
Empfehlungen und Forderungen:
- Vorgabe über die Verkehrsregelungen der Flughafenbenutzungsordnung (FBO) jedes Flughafens
- möglichst genaue Dokumentation der von den Beteiligten der Abfertigung einzuhaltenden Vorgaben und Schutzmaßnahmen, um rechtliche Klarheit zu schaffen, so dass auch der Koordinator sich bei der Ausübung seiner Aufgabe hierauf berufen kann
- regelmäßige fachliche Austausche zwischen allen verantwortlichen Auftragnehmern, den Fachkräften für Arbeitssicherheit und anderen Beauftragten aus, z.B. in Form eines airport safety committee
- Zusammenarbeit auf Augenhöhe, jenseits der üblichen Formularverträge mit standardisierten Hinweisen zu Sicherheit und Gesundheit
Weitere Informationen zu den Vorträgen und Workshops finden Sie im Flyer.
Flyer Branchenkonferenz "Flugzeuge sicher abfertigen"
Nachhaltige Erfolge
Stand Juli 2018
Als Ergebnis dieser Branchenkonferenz hat die BG Verkehr
- die Arbeitsergebnisse aus den jeweiligen Workshops in der neuen Branchenregel "Abfertigen von Luftfahrzeugen" berücksichtigt
- mit der zuständigen Europäischen Luftfahrtbehörde (EASA) einen Austausch zum Thema "Verantwortung bei der Frachtraumgestaltung" gestartet
- das Sachgebiet "Luftfahrt und Flugplätze" sowie die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) thematisch eingebunden
- die Erstellung einer Fachbereichsinformation zur Koordination bei der Abfertigung beschlossen
- die Arbeitsergebnisse in den Arbeitskreis zur Erarbeitung der Technischen Regeln für Betriebssicherheit TRBS 1111 (Gefährdungsbeurteilung) eingebracht und speziell den Passus zur Koordination bei gemeinsamer Nutzung von Arbeitsmitteln aufgenommen
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