Aufmerksamkeit versus Ablenkung
Konzentration und Aufmerksamkeit hängen neben körperlicher und geistiger Fitness auch von der Einrichtung des Fahrerarbeitsplatzes ab. Auf der einen Seite ist es die fahrzeugeigene Ergonomie, die hier entscheidende Voraussetzungen schafft. Andererseits haben Fahrerinnen und Fahrer oft selbst Einfluss darauf, wie gut oder schlecht sie an ihrem Arbeitsplatz arbeiten können.
Ein zentrales Problem für die Sicherheit von Fahrzeuginsassen ist Ablenkung. Da der Mensch sich nur auf eine Tätigkeit ganz fokussieren kann und das Führen eines Fahrzeuges die gesamte Aufmerksamkeit benötigt, ist die Konzentration auf die Fahraufgabe oberstes Gebot.
Absolut tabu sind all jene Beschäftigungen, bei denen Fahrerinnen und Fahrer den Blick sekundenlang vom Verkehrsgeschehen abwenden, wie Telefonieren, Lesen und Schreiben von Textnachrichten auf dem Smartphone, Essen und Trinken, Lesen von Frachtpapieren usw.
Ein guter Fahrer bzw. eine gute Fahrerin achtet immer darauf, konzentriert zu fahren, um jederzeit schnell auf wechselnde Situationen reagieren zu können.
VR-Simulation zum Thema Ablenkung
Um Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer zur Ablenkung im Straßenverkehr zu sensibilisieren, hat die BG Verkehr gemeinsam mit einer Softwarefirma ein neues Präventionswerkzeug entwickelt. Mit einer Virtual-Reality-Brille (VR-Brille) und einer Spezialsoftware werden Verkehrssituationen simuliert, in denen die Fahrerinnen und Fahrer ihre Aufmerksamkeit testen können und erkennen, wie sie in bestimmten Situationen auf Ablenkung reagieren.
Podcast und Kurzfilm "Lenken statt Ablenken"
Ablenkung gab es schon immer. Aber bei steigendem Verkehrsaufkommen häufen sich die schweren Unfälle.
Im Podcast "Lenken statt Ablenken" suchen der Fachjournalist Jan Bergrath, die Verkehrspsychologin Dr. Anja Katharina Huemer, der Unfallforscher Siegfried Brockmann und der Lkw-Fahrer Holger Brost nach Lösungen für ein schier unlösbares Problem.
Im Podcast "Lenken statt Ablenken" suchen der Fachjournalist Jan Bergrath, die Verkehrspsychologin Dr. Anja Katharina Huemer, der Unfallforscher Siegfried Brockmann und der Lkw-Fahrer Holger Brost nach Lösungen für ein schier unlösbares Problem.
Jan Bergrath (Moderation): [00:00:00.73] Herzlich willkommen zum Podcast "Gefahren durch Ablenkung". Er entstand im Auftrag der BG Verkehr. Mein Name ist Jan Bergrath. Ich bin seit 33 Jahren freier Journalist im Bereich Transport und Logistik. Seit über fünf Jahren beschäftige ich mich intensiv auch mit dem Unfallgeschehen auf deutschen Autobahnen. Meine heutigen Gesprächspartner sind die Verkehrspsychologin Dr. Anja Katharina Huemer vom Institut für Psychologie, Ingenieur- und Verkehrspsychologie der Technischen Universität Braunschweig.
Anja Katharina Huemer: [00:00:37.56] Hallo.
Jan Bergrath (Moderation): [00:00:37.95] Herzlich willkommen. Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. in Berlin.
Siegfried Brockmann: [00:00:47.86] Ja, hallo.
Jan Bergrath (Moderation): [00:00:49.44] Und Holger Brost aus Jena, Lkw-Fahrer seit 25 Jahren. Seit sechs Jahren ist er europaweit für die Spedition Cartrans aus Freudenberg zwischen Skandinavien und Deutschland unterwegs.
Holger Brost: [00:01:02.82] Guten Tag.
Jan Bergrath (Moderation): [00:01:04.44] Hallo.
Jan Bergrath (Moderation): [00:01:05.73] Herr Brockman, ich fange mit Ihnen an, weil es ist auch gerade wieder aktuell in den Medien gewesen: Die Unfallzahlen sollen in diesem Jahr gesunken sein, insbesondere die Zahl der Getöteten. Ich werte seit vielen Jahren über die Medien die Unfallzahlen der Lkw am Stauende aus, weil das ist ja letztendlich unser Thema Ablenkung und in diesem Jahr sind allein 47 Lkw Fahrer allein bei einem Unfall am Stauende ums Leben gekommen. Hunderte Schwerverletzte. Im Prinzip passiert jeden Werktag ein bis zwei Lkw-Unfälle. Was bedeuten diese Zahlen aus Sicht der Unfallforschung?
Siegfried Brockmann: [00:01:50.31] Ja, man könnte jetzt sagen, die Zahl der getöteten Lkw-Fahrer befindet sich ungefähr in dem Maß, wie wir es auch im Vorjahr hatten. Also hört sich das erst mal an, wie nicht schlechter und nicht besser. Allerdings hatten wir ja gerade im Frühjahr durch Corona geringere Fahrleistungen und infolgedessen bedeutet das, was wir hier also an Getöteten und Verletzten sehen, doch eine deutliche Verschlechterung gegenüber dem Vorjahr. Und eine der möglichen Erklärungen dafür ist sicherlich, dass wir einfach mehr Stauenden haben, weil wir auch eine ganze Menge auch sehr langfristiger Baustellen auf Deutschlands Autobahnen haben und hatten.
Jan Bergrath (Moderation): [00:02:32.34] Die Autobahnpolizei nennt als Ursache für diese Unfälle meist zwei Ursachen: zu geringer Abstand und zunehmend eben die Ablenkung. In seltenen Fällen geben Lkw-Fahrer auch zu Protokoll, dass sie kurz eingeschlafen sind. Frau Huemer, kommt Ihnen das aus Ihren Studien bekannt vor?
Anja Katharina Huemer: [00:02:51.77] Die Schwierigkeit bei Ablenkung, zum einen es gibt ja keinen wirklich sinnvollen Grund zu sagen: "Ich war jetzt abgelenkt." Zum anderen ist es so, dass Ablenkung alleine also die Tatsache, dass man mal nebenher was anderes macht, ja nicht zu einem Unfall führt. Was da passiert, wenn wir einen Unfall haben, ist ja meistens, dass wir eine für die Situation zu hohe Geschwindigkeit, einen zu geringen Abstand haben. Dann irgendwas Unerwartetes passiert, zum Beispiel ein Stauende in einer Baustelle oder dass jemand vor mir doch stärker bremst, als ich gedacht habe. Und wenn ich dann in dem Moment abgelenkt bin, also zum Beispiel die Augen nicht auf der Straße habe, zu spät sehe, was da passiert, ich vielleicht meine Hände nicht gerade am Lenkrad habe oder mein Fuß nicht schon auf der Bremse ist, dann habe ich eben so eine Verzögerung, dass es dann halt leider zu einem Unfall kommt, die bei Lkws eben leider sehr schwer sind.
Jan Bergrath (Moderation): [00:03:46.70] Ja. Holger, du fährst seit 25 Jahren europaweit Lkw. Hat sich aus deiner Sicht insbesondere in Deutschland, wir sind ja das größte Transitland Europas, das Gefühl eingestellt, es passieren mehr Unfälle, es gibt mehr Staus? Wie ist deine Erfahrung aus der Praxis?
Holger Brost: [00:04:08.72] Also meine Erfahrung ist definitiv, deckt sich mit den Beobachtungen, mit diesen Erkenntnissen und diesen Daten, die jetzt im Jahr entstanden sind, dass der insgesamt schrittweise immer in bestimmten Punkten eine Verschlechterung stattgefunden hat. Also zum einen eine gefühlte Zunahme des Verkehrsaufkommens, eine vermehrte Rücksichtslosigkeit auch zwischen den Lkw-Fahrern an sich, dann natürlich auch zwischen anderen Verkehrsteilnehmern des Pkw sich etwas beschränkt fühlen, in dem Lkw einfach auf zweiten und dritten Spuren unterwegs sind und sich gegenseitig überholen, Verbote wie Überholverbot missachten und auch die Abstände zwischen den Lkw verringern und auch die Höchstgeschwindigkeiten dann teilweise drastisch überschritten werden. Und da spürt man schon eine Zunahme von Gefährdungspunkten.
Jan Bergrath (Moderation): [00:05:10.91] Glaubst du denn, dass viele Unfälle eben passieren, Du schaust ja auch in Fahrerhäuser rein, weil Fahrer abgelenkt sind?
Holger Brost: [00:05:21.17] Das konnte man schon lange Zeit beobachten, weil eben durch verschiedene Maßnahmen auch teilweise die Langeweile der Fahrer zunimmt, wenn man jetzt nur Strecke fährt. Am Tag 500 bis 600 km mit einer kurzen Pause zwischendurch und das auch sehr eintönig werden kann, dass man natürlich dann sich auch eine Ablenkung sucht. Und das hat man auch vorher schon gesehen. Ich weiß nicht, inwieweit das jetzt vielleicht zugenommen hat, aber durch die größere Menge der Lkw ist natürlich dann auch dort ein Mehr an Ablenkung möglich.
Jan Bergrath (Moderation): [00:05:56.66] Herr Brockmann, Sie beschäftigen sich ja schon sehr lange auch mit diesem Thema, insbesondere der Eintönigkeit am Lkw. Die werden immer moderner. Der Fahrer hat weniger zu tun. Trifft es zu, was der Holger gesagt hat?
Siegfried Brockmann: [00:06:10.82] Also auch bei weniger modernen Lkw hat der Fahrer immer schon relativ wenig zu tun gehabt, wenn man das mal mit dem Pkw vergleicht. Der Pkw-Fahrer befindet sich ja in einem Geschwindigkeitsbereich, wo er sich sozusagen ständig abgleichen muss mit anderen Geschwindigkeiten. Also muss ich bremsen, muss ich auf die Überholspur? Dafür muss ich in den Spiegel schauen, muss dort wieder eine Abschätzung treffen, wie schnell kommt der andere? Das sind ja Dinge, die der Lkw-Fahrer erst recht in Überholverbotstrecken überhaupt nicht hat, sondern er fährt im Grunde genommen leider oft auch mit zu geringem Abstand hinter einer anderen "Schrankwand" her, sieht nicht mal die Landschaft und das ist dann eben tatsächlich extrem ermüdend. Sie sprachen das an, die Assistenzsysteme, wenn ich jetzt also den intelligenten Tempomat, den Abstandstempomat anhabe, nimmt er mir also auch noch alle möglichen Dinge ab. Und das führt dann tatsächlich über relativ kurze Zeit zu Ermüdung. Und der Fahrer muss natürlich darauf reagieren, wenn er das merkt. Der kann ja nicht einfach eine Stunde Pause machen. Das ist eine nette Empfehlung, aber in dem Fall völlig sinnlos. Er wird dann gucken, dass er sich mit irgendwas ablenkt, indem er irgendwelche Papiere liest, die er ja sowieso irgendwann lesen muss. Oder auch wenn es gar nichts zu tun gibt, irgendwas auf dem Handy oder auf dem Laptop macht. Der hat also nur die Möglichkeit zwischen zwei Übeln. Entweder fallen ihm die Augen zu oder er lenkt sich ab und guckt deswegen nicht auf die Fahrbahn.
Jan Bergrath (Moderation): [00:07:42.74] Frau Huemer, das ist genau Ihr Forschungsfeld. Wie funktioniert Ablenkung?
Anja Katharina Huemer: [00:07:53.02] Es geht ja eben darum, mich in einem quasi optimalen Erregungszustand zu halten. Also in so einer Wachheit zu halten. Zum einen eben diese Müdigkeit zu vermeiden, diese Monotonie zu vermeiden und zum anderen zu schauen, dass ich nicht überfordert bin. Das ist halt die Idee der Ablenkung. Es geht eben darum, dieses Energielevel, wie Herr Brockmann das schon gesagt hat, zu halten. Und die Schwierigkeit passiert eben dann, wenn es zu viel wird. Also wenn ich mich gerade aus der Monotonie quasi in eine okaye Situation gebracht habe und dann, wie ich vorhin beschrieben habe, eben andere Sachen dazukommen, dann habe ich quasi eine Überforderung bzw. einfach zu wenig Zeit, um adäquat zu reagieren. Man kann sich das vorstellen, man ist so irgendwie auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit und dann crasht einem was rein und man schafft es einfach nicht mehr. An dieser Stelle ist es halt besonders schwierig, wenn man zum Beispiel Dinge in der Hand hat, weil das haben wir aus Studien gesehen. Die habe jetzt nicht ich gemacht, sondern ein Kollege von mir. Wenn Leute ein Handy oder Tablet in der Hand haben und eine riskante Situation passiert, dann lässt man das ja nicht einfach fallen, sondern die Leute legen das ab und reagieren dann. Und das ist eben das Problem, das wir dann an der Stelle, zum Beispiel an einem Stauende bei geringen Abständen, dass uns dann genau das bisschen Zeit fehlt, was es bräuchte, um rechtzeitig bremsen zu können oder besser schneller bremsen zu können, um noch genug Geschwindigkeit rauszunehmen.
Jan Bergrath (Moderation): [00:09:20.07] Wie lange dauert so eine Zeit der Ablenkung? Also, wenn man aufs Smartphone schaut. Ich habe mir das mittlerweile vollkommen abgewöhnt, weil es ist einfach zu gefährlich. Aber wir wissen ja, der Bremsweg oder der Anhalteweg eines Lkw, kommt drauf an, wie er ausgestattet ist, aber der ist bis zu 70 Meter. Und pro Sekunde legt ein Lkw bei 80 km/h ungefähr 22 Meter zurück. Und wenn Sie eine Sekunde oder zwei Sekunden irgendwo hinschauen, nicht nach außen, ist so ein Unfall vorprogrammiert, oder?
Anja Katharina Huemer: [00:10:05.51] Ja, und das ist noch nicht einmal die Ablenkung. Wir brauchen ja schon fast die zwei Sekunden, um, selbst wenn wir wach sind, auf ein unerwartetes Ereignis zu reagieren. Also, wenn es erwartete Ereignisse sind, wie Herr Brockmann hat das so schön beschrieben, "Ich gucke auf die Schrankwand und die wird größer", das ist ja quasi ein erwartetes Ereignis. Da bin ich etwas schneller. Aber wenn ein unerwartetes Ereignis im Verkehr passiert, dann brauch ich von "das passiert" bis "ich reagiere, bremse oder weiche aus", dann brauche ich da schon die zwei Sekunden. Und jedes bisschen was dann noch dazu kommt, ist halt über diese zwei Sekunden hinaus. Das Gefährliche beim Handy ist, also, wenn wir Handy oder Internet, Tablet oder so was nehmen, dass wir dabei gar nicht merken, wie lange wir abgelenkt sind. Es ist, wie wenn wir einen Film gucken oder uns sonst mit irgendwas Spannendem beschäftigen. Wir merken ja nicht, wie schnell die Zeit vergeht, wenn wir wirklich beschäftigt sind. Und deswegen gucken Menschen sehr, sehr lange aufs Telefon und denken gar nicht, wie lange sie dabei abgelenkt sind. Das ist die Schwierigkeit, selbst wenn man versuchen würde, ich gucke ja nur ganz kurz. Man verschätzt sich total, wie lange ganz kurz ist.
Jan Bergrath (Moderation): [00:11:09.95] Holger, du fährst ja nun viele, viele Kilometer im Jahr. Du kennst auch dieses hinter einer "Schrankwand" herfahren. Wie gehst du damit um, wenn diese Monotonie kommt, wenn die Müdigkeit kommt und du irgendwie guckst, wach bleiben zu müssen, weil du einen Termin hast, weil du nach Hause willst?
Holger Brost: [00:11:31.33] Ja, da gibt es natürlich kein Allheilmittel. Man muss das in der Situation doch differenziert betrachten, ist es jetzt eine Müdigkeit, die durch mangelnden Schlaf entstanden ist oder ist eben durch diese Monotonie. Und ich versuche natürlich, diese Monotonie im Fahrerhaus etwas zu dämmen, indem ich zum Beispiel mir Hörbücher anhöre, die auch ein bisschen Mitdenken verlangen, also spannende Romane oder einen Krimi oder ähnliches. Und kann mir dadurch natürlich schon äußerlich ein bisschen Input holen, der mich aufmerksam bleiben lässt. Also, mir geht es so. Es wird natürlich auch jeder andere anders empfinden. Und dadurch schaffe ich es eigentlich immer wieder, dieser Gefahr der Ermüdung oder durch die Monotonie aus dem Weg zu gehen.
Jan Bergrath (Moderation): [00:12:18.43] Frau Huemer, den Ball nehme ich auf. Einen Podcast über Ablenkung während der Fahrt zu hören, führt nicht automatisch zur Ablenkung, sondern hält die Leute wach, oder?
Anja Katharina Huemer: [00:12:31.24] Jein. Es ist so, dass es Dinge gibt, die ganz, ganz schlimm sind. Und das ist: Hände, Füße, Augen besetzt zu haben. Das ist, glaube ich sehr einsichtig. Wenn wir uns so den Menschen als Baukasten vorstellen: Augen können nur in eine Richtung gucken. Eine Hand kann nur zu einer Zeit an einer Stelle sein. Wenn Augen oder Hand belegt sind, kann ich sie nicht fürs Fahren nutzen. Das kann man jetzt aber sich auch kognitiv überlegen. Also das, was im Gehirn passiert, auch da ist es so, dass wir irgendwo dann doch eine Stelle haben, an der wir aufpassen müssen, dass die nicht belegt ist. Und das könnte man jetzt so eine kognitive Ablenkung nennen, die ist weniger gefährlich als dieses visuell manuelle, also Weggucken, die Hände woanders haben. Aber sie ist auch da. Was wir sehen ist, dass auch wenn man zum Beispiel, was ja erlaubt ist, über das Handset telefoniert oder, das würde ich jetzt gleichsetzen wie dem spannenden Podcast, dass wir trotzdem verlangsamte Reaktionen haben.
Jan Bergrath (Moderation): [00:13:33.45] Ja.
Anja Katharina Huemer: [00:13:33.45] Also da passiert auch was und wir sind ein bisschen langsamer. Aber es ist allemal besser, als etwas in der Hand zu haben und wegzuschauen.
Jan Bergrath (Moderation): [00:13:42.95] Ja. Eine große Gefahr, Herr Brockmann, ist ja die Tatsache, dass kaum einer noch mit den Fahrern spricht, sondern die Botschaften kommen ja heute alle über Telematik. Die modernen Fahrzeuge haben Touchscreens, um sie zu steuern. Also nicht während der Fahrt, aber viele Elemente. Wenn also jetzt quasi so eine Aufforderung kommt, "fahr noch schnell zu irgendeinem Lebensmittel-Discounter und lade da was ab oder hole", das ist auch eine Gefahr, oder? Weil in dem Moment schaut der Fahrer ja da drauf.
Siegfried Brockmann: [00:14:24.45] Ja, Sie haben es schon eben so nett gesagt, also nicht während der Fahrt. Natürlich macht man das während der Fahrt. Und ich bin auch großer Gegner aller Touchscreens. Ich habe noch keine, jetzt im Fachjargon Mensch-Maschine-Schnittstelle gefunden, die das Problem ausreichend löst, dass ich da nicht nur hingucken muss, sondern vielleicht auch relativ kleine Touchfelder finden muss und dann sehr lange da herum navigieren mit Finger und Auge, wo ich vorher noch irgendwas Haptisches hatte, wo ich einfach wusste, wo der Schalter ist. Also, das wird alles zunehmend problematisch. Der einzelne Fahrer kann daran nichts ändern und ich kann im Moment auch nicht erkennen, dass die Firmen vorhaben, irgendwas daran zu ändern. Ich bin ja beim Pkw ein großer Skeptiker in der Frage, wie sehr sollen wir jetzt die Automatisierung vorantreiben? Beim Lkw ist es so, dass ich glaube, dass letztlich der Königsweg in einer Vollautomatisierung dieses Fahrzeugs liegt. Denn wir haben gerade schon erörtert, es gibt also nur immer die Wahl zwischen Pest und Cholera für den Fahrer im Moment. Und die Lösung kann eigentlich dann nur darin liegen, dass wir ihn wirklich komplett von der Fahraufgabe befreien.
Jan Bergrath (Moderation): [00:15:46.23] Ja, ich meine, aufgrund des Fahrermangels werden demnächst die Disponenten Lkw fahren müssen. Dann passt das zusammen. Holger, bist du schon mal in kritische Situationen gekommen, weil du abgelenkt warst?
Holger Brost: [00:15:59.76] Also, ich glaube nicht, dass ich da reingekommen bin, weil ich selber abgelenkt war. Es kann natürlich auch eine andere Wahrnehmung sein, aber ich habe gemerkt, dass kritische Situationen vor oder um mich herum entstanden sind, weil eventuell andere abgelenkt waren, in dem es eben zu früh eingestellt sind oder eben der vor mir plötzlich ausgewichen ist, weil er eine Situation wahrgenommen hat. Also, ich bin eigentlich auch ein Verfechter des defensiven Fahrens, das nicht so zu pushen, sondern eher die Situation ein bisschen vorausschauend zu betrachten. Bin damit bis jetzt sehr gut gefahren, auch unfallfrei. Und ich denke, dass das schon mit dazugehört, dass man sich auch fürs eigene Leben ein bisschen einen Puffer schafft, der dann vielleicht die paar Sekunden, die man Verzögerung hat, dann noch ausgleichen kann.
Jan Bergrath (Moderation): [00:16:52.41] Aber was du vorhin geschildert hast, sind nicht alle so deiner Meinung.
Holger Brost: [00:16:57.36] Ja, man sieht's. Also wie gesagt, es ist teilweise eine sehr rücksichtslose Situation auf der Straße zu beobachten. Das unbedingte Vorankommen, der Egoismus nimmt immer weiter zu, dass ich immer vorne dran sein muss. Und das führt natürlich dazu, dass andere dadurch benachteiligt werden.
Jan Bergrath (Moderation): [00:17:18.63] Das heißt mit anderen Worten, du hast insofern keine Eintönigkeit, weil du eigentlich immer darauf achten muss, was machen die anderen.
Holger Brost: [00:17:27.21] So ist es. Also der Großteil des Tages, verbringe ich damit natürlich auch, die anderen zu beobachten. Natürlich.
Jan Bergrath (Moderation): [00:17:36.00] Ein ganz wichtiges Thema, Herr Brockmann, ist die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen, in dem Fall der Notbremsassistent, der ja mittlerweile seit November 2015 in allen neuen Fahrzeugen vorgeschrieben ist. Der technische Stand ist sehr unterschiedlich. Das wollen wir hier nicht vertiefen. Aber grundsätzlich die Frage erst mal: Können Fahrerassistenzsysteme helfen, wenn der Fahrer abgelenkt war?
Siegfried Brockmann: [00:18:11.75] Ja, absolut. Also, das Schöne am Notbremsassistent und einigen weiteren Assistenten ist ja, dass sie eben für den Fahrer gar nicht existieren im normalen Alltag. Das heißt, ich kann den nicht einpreisen. Also anders als der Abstandregeltempomat, der mir ja tatsächlich eine Aufgabe der Beobachtung zum Beispiel der Geschwindigkeitsregulierung gegenüber dem Vordermann abnimmt, macht der Bremsassistent einfach nichts, solange keine kritische Situation. Und solche Systeme mag ich wirklich sehr, weil sie dann eben erst dann eingreifen, wenn der Fahrer einen Fehler macht oder im Begriff ist, ein Fehler zu machen. Und da sind die auch absolut segensreich. Wenn wir jetzt noch mal kurz doch technisch reingehen, indem sie ja dem Fahrer auch die Möglichkeit lassen, selbst zu agieren, weil sie ja zunächst warnen. Und ich gebe gerne zu, die Zeiträume sind extrem knapp. Aber der Fahrer könnte selbstverständlich auch noch eine eigene Vollbremsung machen. Wenn er das nicht tut, nimmt ihm das das System ab. Also solche Sachen sind aus meiner Sicht absolut segensreich.
Jan Bergrath (Moderation): [00:19:19.64] Frau Huemer, das ist genau das Problem, was ich jedenfalls auch immer wieder beschrieben habe: Weil es so knapp kalkuliert ist, dass der Lkw ohne den Fahrer dazwischen unter idealen Bedingungen, also bei trockener Fahrbahn, den Lkw tatsächlich zum Stehen bringen kann. Jetzt sitzt aber der Fahrer dazwischen und fährt hinter einer Schrankwand her. Und plötzlich warnt der Notbremsassistent und dann schreckt man hoch und dann müsste man eigentlich schneller sein als der Notbremsassistent. Wir haben leider, leider sehr viele Unfälle, die passieren, weil der Fahrer dann in letzter Sekunde ausweicht oder versucht auszuweichen. Und dann passiert halt folgendes: Dann verliert die Radarkeule diese "Schrankwand" quasi aus dem Auge, und dann kracht er halt zur Hälfte rein. Ja, das ist genau das Problem und auch hier, Herr Brockmann, fehlt total die Aufklärung seitens aller Verantwortlichen, der Hersteller, der Politik an die Fahrer, die werden draufgesetzt und wenn es dann kommt, wissen sie nicht, was sie tun sollen. Das ist doch eigentlich aus psychologischer Sicht ein GAU, oder?
Anja Katharina Huemer: [00:20:43.13] Ist es auf jeden Fall, also was... Das ist auf jeden Fall auch kein Problem, was man mit Aufklärung lösen kann. Man kann Menschen nicht sagen, mach keine Panikreaktion. Kann man probieren, wird aber nicht funktionieren. Das würde bedeuten, dass diese Assistenten, auch wenn gelenkt wird, halt trotzdem weiter runter bremsen müssten. Das ist eine Sache, die technisch geregelt werden muss, wenn so ein Notfallassistent dann übersteuert wird, und damit es technisch geregelt wird, denke ich, muss es auch von der Gesetzgebung so vorgegeben werden. Ich denke aber auch, dass Herr Brockmann da wahrscheinlich mit bei ist.
Siegfried Brockmann: [00:21:25.46] Also erstens glaube ich eben schon, dass man, wenn man genau weiß, was man eigentlich trainieren will, kann man das trainieren, zum Beispiel: Erstens kann man es ansprechen im Rahmen der Fahrerweiterbildung, die ja jeder regelmäßig machen muss. Ich persönlich bin auch ein Fan von Fahrsicherheitstraining und den Fahrsicherheitstrainings würde man in solcher Situation mit Sicherheit lernen, dass es keine bessere Reaktion gibt als einfach nur eine Vollbremsung. Weil alles andere ja völlig unkalkulierbar ist, zum Beispiel ein Verreißen des Lenkrads und ähnliche Dinge. Also eine Vollbremsung, das kann man trainieren, das wird ja auch beim Pkw gemacht und das kann auch in Fleisch und Blut übergehen. Also, Warnung - Vollbremsung. Ich meine, das würde schon funktionieren. Das andere Thema ist: Will ich denn zulassen, dass der Fahrer etwas machen kann, um das System zu übersteuern? Also da haben wir erst mal natürlich diese Fiktion noch im Gesetz des selbst handelnden Fahrers, weil ich habe ja noch kein automatisiertes System. Und zweitens kann ich mir auch durchaus natürlich Situationen vorstellen, wo es vielleicht im Einzelfall, wenn man denn noch sozusagen in der Kontrolle dieses Fahrzeugs ist, besser ist, an dem Hindernis vorbei zu lenken, als drauf zu halten. Es ist zwar eher ein theoretischer Fall, aber ich halte ihn schon für denkbar. Deswegen glaube ich die unsere Lösung für Leute mit diesen Assistenzsystemen ist einfach, dass die Fahrsicherheitstrainings machen sollten und einfach in Fleisch und Blut übergegangen ist, wenn Warnung, dann Vollbremsung und sonst nix.
Jan Bergrath (Moderation): [00:23:01.10] Holger, hast du das schon mal mitgemacht, ein Fahrsicherheitstraining?
Holger Brost: [00:23:06.22] Ja, aber nicht mit Lkw, sondern nur mit Pkw. Das war natürlich im Nachhinein gesehen auch wirklich sehr unterstützend in der zukünftigen Fahrweise. Auch in der Denkweise über die Physik, was physikalische Kräfte machen können oder was sie aushalten können, wenn man mal bis in den Grenzbereich reingeht. Und das lernt man ja beim Fahrsicherheitstraining mal: Wann bricht das Fahrzeug beim Kreisfahren aus, ab welchem Tempo ungefähr. Aber mit dem Lkw eben noch nicht. Wir haben uns auch schon mehrfach unterhalten darüber, dass ich das genauso sehe, dass Fahrer in der Richtung sensibilisiert werden müssen: Wie verhalte ich mich richtig? Und das kann man eigentlich nur im praktischen Bereich erfahren, weil man die Erfahrung machen muss, dass es auch funktioniert. Viele vertrauen nicht darauf. Viele, wie du schon gesagt hast, schrecken auf, wenn plötzlich der Ton, die Lampe vom Notbremsassistenten angeht. Zurzeit auch bei meinem DAF, sehr häufig ohne richtigen Grund. Es gibt eben einige Fehlermeldungen und dann führt das natürlich auch zu gewisser Unsicherheit und zu falschen Reaktionen. Und ich denke auch, wenn diese Notbremsung automatisch erfolgt und die Technik ist so weit, dass sie diese Situation erkennen kann, dann wird vielen viel geholfen. Das Ausweichen finde ich eben gerade auf Langstrecken sehr riskant, weil ja dann auch noch der begleitende Verkehr da ist, Pkw und andere die überholen, denen wir dann natürlich wieder in den Weg reinfahren und dadurch vielleicht noch ein größeres Chaos verursachen. Und deswegen wirklich, das Praktische steht dafür im Vordergrund.
Jan Bergrath (Moderation): [00:24:52.78] Frau Huemer, wenn Sie das hören, dass es immer wieder Fehlermeldungen gibt und sie dann gleichzeitig wissen, dass an einer bestimmten Situation der Fahrer dann tatsächlich vertrauen muss, dass es jetzt die wichtige Meldung ist, dass es da auch nicht wirklich zielführend.
Anja Katharina Huemer: [00:25:12.64] Ja, das ist halt auch wieder so eine technische Frage: Wie regle ich das System ein? Es muss ja alle Situationen mitbekommen, die kritisch sind, soll aber dennoch nicht zu viel warnen. Es wird aber immer so sein, dass diese Systeme eher mehr warnen, um auf der sicheren Seite zu sein. Es ist für Fahrer, das ist für Menschen, die mit solchen Systemen umgehen, unglaublich schwierig, weil man eben dann in diese Gewöhnung reinkommt und dann eben nicht richtig reagiert, wenn es tatsächlich eine richtige Warnung ist. Das ist halt dieses: Wer dreimal lügt, dem glaubt man nicht. Das ist einfach auch Lernen.
Jan Bergrath (Moderation): [00:25:53.59] Das ist ein sehr guter Ansatz. Herr Brockman, was können denn Unternehmen jetzt mal grundsätzlich tun, gehen wir mal wieder zum allgemeinen Thema der Ablenkung, um ihre Fahrer vor möglicher Ablenkung zu schützen?
Siegfried Brockmann: [00:26:12.64] Ja, zunächst mal ist es ja so, ich glaube, Frau Huemer hat es auch schon gesagt vorhin, also nicht jeder Ablenkung ist schlecht. Da müssen wir schon gut differenzieren, sondern es ist gerade umgekehrt so, wenn ich also besonders monotonen Arbeitsplatz habe, wie in diesen eben, dass ein gewisses Maß an Ablenkung auch erforderlich ist, um so eine gewisse Grundspannung zu bewahren. Die Frage ist also tatsächlich: Wie bewerkstellige ich das so, dass die Verkehrssicherheit im Umkehrschluss möglichst wenig gefährdet ist? Und das heißt eben erstmal ganz klar: Ich muss mir Dinge ausdenken, die dazu führen, dass ich jedenfalls immer auf die Fahrbahn schaue. Und da finde ich jetzt ehrlich gesagt, auch wenn das nicht hundertprozentig toll ist, das mit dem Hörbuch eine super Sache. Es gibt keine optimale Möglichkeit, das muss man einfach mal vorausschicken. Aber wenn ich es schaffe, meine geistige Spannkraft aufrechtzuerhalten, indem ich irgendeine schöne Geschichte höre und gleichzeitig dabei aber auf die Fahrbahn schaue, dann scheint mir das in Anbetracht der sowieso suboptimalen Möglichkeiten dort echt eine prima Sache zu sein.
Jan Bergrath (Moderation): [00:27:26.00] Frau Huemer, ich frage Sie konkret: Gibt es sichere Ablenkung?
Anja Katharina Huemer: [00:27:31.92] Nein. Tatsächlich ist es auch so, dass ich mich nicht nicht ablenken kann. Wir Menschen reagieren auf Reize, und das ist sehr wichtig. Und wir lassen uns ständig ablenken, wenn irgendwo etwas passiert, auf das wir vielleicht reagieren müssten. Das ist total normal, und ich halte auch das Hörbuch oder Musikhören oder so was für eine wirklich gute Sache, weil ich dann wenigstens diese ganz schlimmen Dinge nicht mache. Und ja, ich muss mich wachhalten, wenn es langweilig ist. Ich kann ja dann auch nicht einschlafen.
Jan Bergrath (Moderation): [00:28:06.79] Holger, was machst du, um dich wach zu halten? Wie? Verrat uns mal ein paar Tricks.
Holger Brost: [00:28:17.09] Die Insider-Tricks? Also, das geht ja eigentlich schon in der Vorbereitung, sag mal, einer Tagestour los, indem ich zum Beispiel erst mal ausreichend Schlaf hab und auch einen guten Schlaf. Nicht nur so einen oberflächlichen. Dass man sich eben einen Parkplatz sucht, der irgendwo ruhig ist. Und das hat man vielfach an Autobahnen nicht, wenn man parallel zur Autobahn steht oder an stark befahrenen Landstraßen. Man muss da schon seine Tour ein bisschen planen, dass man diesen ausreichend Schlaf hat, auch rechtzeitig ins Bett gehen, dass man früh dann ausgeschlafen ist. Da ist schon mal sehr viel gewonnen. Und dann kommen natürlich, ja ab und zu ein paar Telefonate mit Kollegen und ähnliches dazu, die dann über den Tag passieren, dann eben Musikhören oder Radio, das Programm, das man tagesaktuell informiert ist. Das sind eigentlich so die wichtigen Schritte . Was ganz entscheidend ist, dass die Fahrt so vorbereitet wird, dass ich mich während der Fahrt alles so eingestellt habe, dass ich nicht mehr ablenken und mich ablenken kann, indem ich zum Beispiel die Heizung nachregle, einen anderen Radiosender suche oder mich noch anschnallen muss, nachdem ich losgefahren bin. Das sind so Sachen, die man natürlich selber in der Hand hat, diese Ablenkung während der Fahrt erst gar nicht zu schaffen.
Jan Bergrath (Moderation): [00:29:30.78] Es gab einen schrecklichen Unfall vor ein paar Jahren, da fuhr ein Lkw aus einer Baustelle raus. Dann kam die kurze Baustelle, der Stau danach und dann hat die Polizei den Fahrer gefunden und der hatte ein Bockwürstchen gerade im Hals stecken. Das Thema Essen und Trinken während der Fahrt. Frau Huemer, es ist auch wahrscheinlich eine grenzwertige Situation, oder?
Anja Katharina Huemer: [00:30:01.66] Ja, also die Schwierigkeit ist eben: Ich habe etwas in der Hand. Es ist womöglich heiß, wenn mir das runterfällt, erschrecke ich mich, bewege mich komisch. Es ist eine Sache, die relativ lange dauert. Also das sind ja die, die schwierigen und gefährlichen Tätigkeiten, die lange dauern. Wahrscheinlich ist die Heizung nachregeln nicht das Ding, weil es eben nicht lange dauert. Langfristige Tätigkeiten, bei denen ich Augen nicht auf der Straße und Hände nicht am Lenkrad habe, sind eben die gefährlichen Sachen. Von daher ist Essen und Trinken während der Fahrt eine schwierige Sache. Ich verstehe aber auch, dass man Nahrung braucht.
Siegfried Brockmann: [00:30:44.74] Vielleicht darf ich noch mal ergänzen.
Jan Bergrath (Moderation): [00:30:46.70] Gerne.
Siegfried Brockmann: [00:30:46.70] Die spannende Frage ist ja die, also wir haben es ja hier nicht mit Leuten zu tun, die einmal im Jahr Auto fahren, sondern das sind alles Profis. Das macht die Sache nicht zwingend besser, wie wir auch bei Studien zum Thema Handygebrauch sehen. Beim Essen ist das nicht anders. Da sagen gerade die Profis: "Also ich kann das einschätzen." Das heißt, man übersieht eine Strecke vor sich, sozusagen, das sind meinethalben 200-300 Meter und sagt sich: "Da kann ich mal eine halbe Sekunde weggucken oder da kann ich mal eben auf den Sitz neben mir greifen. Dazu muss ich ja auch kurz den Blick abwenden. Das reicht mir, weil ich ja sehen kann, so weit voraus." Und das geht eben auch 100.000-mal gut. Und das macht die Sache nicht besser, sondern noch schlimmer, weil man sich dann in diesem Fall bestätigt sieht. Und dann kommt irgendwann etwas völlig Unvorhergesehenes. Und das macht die ganze Sache so brisant. Das kann über Jahre das gleiche Verhalten super funktionieren und irgendwann geht es genau aufgrund dieses Schätzfehlers schief.
Jan Bergrath (Moderation): [00:31:53.58] Frau Huemer, ich hätte gerne noch so eine Schlussbemerkung von Ihnen, weil wir müssen jetzt tatsächlich auch zum Schluss kommen, nach diesem Gespräch: Wie fassen Sie das jetzt zusammen? Wo ist die Gefahr und was kann der Fahrer konkret tun und was sollte er lassen?
Anja Katharina Huemer: [00:32:15.21] Nicht lange Dinge in der Hand haben. Nicht weggucken von der Straße - das als die Dinge, die man lassen sollte. Dinge, die man tun sollte: Wie gerade auch eben schon gesagt, gut vorbereitet, wach, ausgeschlafen in die Tour rein gehen. So gut wie möglich ablehnen, dass man auch noch als Büro missbraucht wird. Das ist eine Sache, da ist mir vollkommen klar, dass das in der Organisation, im Unternehmen wahrscheinlich sehr, sehr schwierig ist, das nicht alles auf den Fahrern abgeladen wird. Aber bei diesen zusätzlichen Tätigkeiten da wenigstens den zeitlichen Druck rausnehmen, die Möglichkeit schaffen, dass man da nicht ans Handy rangehen muss, dass man da nicht erreichbar sein muss. Und der Job ist das Fahren, das sichere Ankommen. Genug Abstand halten damit, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, der Sicherheitsabstand da ist.
Jan Bergrath (Moderation): [00:33:10.81] Herr Brockman, der Fahrer ist Fahrer - und sonst nichts. Würde es weniger Unfälle geben, wenn der Fahrer wirklich sich nur konzentrieren würde?
Siegfried Brockmann: [00:33:21.01] Ja, aber das haben wir ja gerade erörtert. Genau das kann er gar nicht. Das ist sozusagen menschlich psychologisch völlig unmöglich. Ich meine, das Problem, was wir hier haben, das werden jetzt viele Speditionsunternehmen nicht gerne hören, ist ja, dass wir hier diesen eigentlich anachronistischen Arbeitsplatz haben. Wenn Lkw-Fahrer Maschinenführer wären, wäre der ja verboten, weil ich eben genau dieses Dilemma habe, dass wir den sozusagen mit wirtschaftlichen Erfordernissen spiegeln. Ich könnte ja auch auf die Idee kommen, alle zwei Stunden eine 30-minütige Ruhepause anzuordnen. Jetzt mal abgesehen von der Parkplatzkapazität. Aber dann hätte ich das Problem wahrscheinlich auch viel besser im Griff. Aber das machen wir eben nicht. Wir führen das exakt an diese Grenze, wo es eben auch mal schiefgehen kann.
Jan Bergrath (Moderation): [00:34:05.34] Ja, und wenn ich jetzt gerade auch an die Paketdienste denke, die hier gerade rund um die Uhr unterwegs sind. Wenn ich so an getaktete Zeiten denke, wo man wirklich viereinhalb Stunden fahren muss, um irgendwo auf irgendeinem Autohof den Gegen-Lkw zu sehen, dann umzutauschen und dann wieder zurück zu jagen, dann ist das unfallträchtig und diese Unfälle gibt es ja auch. Holger, dein Schlusswort: Was nimmst du mit aus diesem Gespräch? Wird sich das für dich, wird das einen Einfluss haben?
Holger Brost: [00:34:46.79] Also, die Sendung hat mir eigentlich nur bestätigt, dass ich das meiste richtig gemacht habe. Ich will nicht behaupten, dass ich alles richtig mache, aber dass ich auf jeden Fall mir schon Gedanken mache, wie ich da gut durchkomme. Man sieht immer mehr Unfälle, immer mehr schwere Unfälle. Man sieht auch immer mehr Überschreitungen von den Grenzen, also überschrittene Lenkzeiten, stark überschritten, verkürzte Ruhezeiten, die jedes Mal bei Kontrollen auffallen und man sieht, dass da in anderen Bereichen oder in anderen Branchen da nicht so drüber gedacht wird. Und da muss mehr Aufklärung her. Es muss also auch von der Basis hochgehen. Es kann jetzt nicht immer von oben angeordnet werden.
Jan Bergrath (Moderation): [00:35:29.44] Wunderbar. Also vielen, vielen Dank! Und das war der Podcast "Gefahren durch Ablenkung" im Auftrag der BG Verkehr. Ich bedanke mich bei Dr. Anja Huemer, Siegfried Brockmann und Holger Brost für dieses interessante Gespräch. Und wenn Sie diesen Podcast zur Ablenkung während der Fahrt gehört haben und immer schön geradeaus geschaut haben, dann haben Sie alles richtig gemacht. Allzeit gute Fahrt.
Handytelefonate, das Schreiben von Kurznachrichten oder das Eingießen einer Tasse Kaffee – das alles kostet sekundenlang die Aufmerksamkeit des Fahrers oder der Fahrerin. In kritischen Verkehrssituationen sind diese Sekunden jedoch entscheidend.
Bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h verursachen drei Sekunden Ablenkung eine Strecke von 42 Metern, die der Fahrer oder die Fahrerin im Blindflug zurücklegt. Diese 42 Meter bedeuten höchste Gefahr für den Mann und die Frau am Steuer und die anderen Verkehrsteilnehmer. Eine Gefahr, auf die der Kurzfilm "Lenken statt Ablenken" aufmerksam macht.
- Aufmerksamkeit im Straßenverkehr - Lenken statt Ablenken
- Plakat: Lenken statt Ablenken "Blick aufs Smartphone" DIN A1
- Plakat: Lenken statt Ablenken "Blick aufs Smartphone" DIN A3
- Plakat: Lenken statt Ablenken "Essen während der Fahrt" DIN A1
- Plakat: Lenken statt Ablenken "Essen während der Fahrt" DIN A3
- Plakat: Lenken statt Ablenken "Gegenstände im Blickfeld" DIN A1
- Plakat: Lenken statt Ablenken "Gegenstände im Blickfeld" DIN A3
- Plakat: Lenken statt Ablenken "Telefonanruf" DIN A1
- Plakat: Lenken statt Ablenken "Telefonanruf" DIN A3
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