Vision Zero in der Straßenverkehrsordnung verankern
Präventive Gefahrenabwehr statt bloße Reaktion auf ein Unfallgeschehen: Was Götz Ulrich, Mitglied des Präsidiums des deutschen Landkreistages, während der 2. Nationalen Verkehrssicherheitskonferenz in Berlin den Gesetzgebern in Bund und Ländern vorschlug, ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel in der Verkehrssicherheitspolitik. Die zuständigen Behörden in Städten und Kommunen dürfen eine Reihe von Maßnahmen zur Verkehrssicherheit bisher erst dann anordnen, wenn dies durch ein entsprechendes Unfallgeschehen gerechtfertigt ist. „Wir reagieren also erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, sagte Ulrich.
Mehr Eigenständigkeit der Kommunen
Der Kommunalpolitiker will stattdessen künftig Maßnahmen wie Tempolimits, Errichtung von Fußgängerüberwegen und anderes bereits präventiv anordnen können – wenn nach Ansicht der Behörden eine Gefahr besteht. „Wir müssen die Vision Zero rechtlich in der Straßenverkehrsordnung verankern“, betonte Ulrich. Auch gegenüber den Verkehrsbehörden der Länder will der Landrat mehr Eigenständigkeit. Ulrich schlug vor, die Zustimmungsvorbehalte der Bundesländer gegen verkehrssichernde Maßnahmen der Kommunen zu reduzieren. Dies sei gleichzeitig ein Beitrag zur Entbürokratisierung. Den Ländern ist ein erweiterter Spielraum der Kommunen offenbar ein Dorn im Auge. Der Bundesrat stoppte im November die dazu erforderliche Änderung des Straßenverkehrsgesetzes.
Über 40.000 Abbiegeassistenten gefördert
Der Gastgeber der Konferenz, Bundesverkehrsminister Volker Wissing, schlug moderate Töne an. Er bewertete den vor zwei Jahren geschaffenen „Pakt für Verkehrssicherheit“ mit Ländern, Kommunen und zahlreichen anderen Organisationen als Erfolg. Für die Aktion Abbiegeassistent seien 240 Sicherheitspartner gewonnen worden. Durch Förderprogramme sei die Anschaffung von mehr als mehr als 40.000 Abbiegeassistenzsysteme für Lkw und Busse ermöglicht worden. Wissing bewertete das als wichtigen Schritt für den Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer. Wissing befürwortet ein Abschaltverbot für Notbremsassistenten für Fahrzeuge mit mehr als 3,5 Tonnen. Hingegen lehnt der Minister regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen älterer Autofahrer ohne Anlass ab.
Verkehrssicherheitsarbeit in Unternehmen
Interessante Vorträge bot das von Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) organisierte Forum "Ohne die Unternehmen und Betriebe geht es nicht – Verkehrssicherheitsarbeit in der unternehmerischen Praxis ". Prof. Dr. Rüdiger Trimpop, Inhaber des Lehrstuhls für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie an der Uni Jena, warb für eine Stärkung der betrieblichen Verkehrssicherheitsarbeit. Sein Argument: 40 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer plus Schülerinnen und Schüler seien über Unterweisungen direkt erreichbar. Demgegenüber hätte die allgemeine Verkehrssicherheitsarbeit nach dem Erwerb des Führerscheins keinen gesicherten Zugang zu den Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmern. „Im Betrieb können Arbeitsaufgaben, Verkehrsteilnahme und Privatfahrten gekoppelt und von Experten oder Expertinnen vermittelt werden“, argumentiert der Wissenschaftler.
Blick auf betriebliche Mobilität lenken
Für die Unternehmen habe das Thema Relevanz: 50 bis 60 Prozent der Arbeits- und Wegeunfälle mit Todesfolge ereignen sich im Verkehr, so Trimpop. Der Wissenschaftler ließ allerdings durchblicken, dass die Betriebe für eine umfassende Verkehrssicherheitsarbeit nicht gut gerüstet sind. „Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Führungskräfte haben faktisch keine Schulungen zum Thema parat“, sagte er. Dies soll sich ändern. In einem Kooperationsprojekt namens Gurom entwickelt die Uni Jena gemeinsam mit dem DVR und Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung ein Instrument zur Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen und Risikoanalysen im Bereich der betrieblichen Mobilität.
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat einen Mitschnitt der Veranstaltung zur Verfügung gestellt.
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