Fume- and Smell-Events: Ergebnisse der Biomonitoring-Studie liegen vor
Für Cockpit- und Kabinenbesatzungen von Flugzeugen ist es ein beängstigender Moment. Während eines Fluges breiten sich unangenehme, schwer einzuordnende Gerüche aus, selten begleitet von Rauchentwicklung. Es handelt sich um ein Phänomen, das in der Luftfahrtbranche als Fume- and Smell-Event (FUSE) bekannt geworden ist. Im Jahr 2019, dem letzten Jahr vor der Corona-Pandemie, wurden der BG Verkehr 524 solcher Ereignisse gemeldet. In den Coronajahren 2020 bzw. 2021 waren es 118 beziehungsweise 47 Fälle.
Bei den betroffenen Crewmitgliedern können FUSE akute körperliche Beschwerden auslösen – unter anderem Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel und Atemwegsbeschwerden. Deshalb erkennt die BG Verkehr in der überwiegenden Zahl der Fälle diese als Arbeitsunfall an.
Erkenntnislücke geschlossen
Allerdings klagen einige Crewmitglieder auch über teils schwere und anhaltende Beschwerden, unter anderem im neurologischen Bereich, die sie auf ein FUSE zurückführen.
Bisher fehlt allerdings ein wissenschaftlicher Beleg für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und derartigen gesundheitlichen Beschwerden. Hier sah die BG Verkehr Forschungsbedarf. Sie wollte klären, ob ein Zusammenhang der Gesundheitsbeschwerden mit der Freisetzung von sogenannten Volatile Organic Compounds (VOC; übersetzt: flüchtige organische Verbindungen) besteht. Die Berufsgenossenschaft beauftragte das Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IPA), dieser Frage mittels eines Biomonitorings bei betroffenen Flugzeugbesatzungen nachzugehen.
Im Rahmen der FUSE-II-Studie wurden den von FUSE betroffenen Crews nach der Landung von Durchgangsärzten und ärztinnen an flughafennahen Kliniken Blut- und Urinproben abgenommen, um in diesen unter anderem VOC und deren Stoffwechselprodukte zu analysieren. Die Proben wurden dazu nach einem standardisierten und qualitätsgesicherten Verfahren genommen, an das IPA versendet und dort untersucht. Insgesamt beteiligten sich 375 Betroffene an diesem Biomonitoring.
Keine relevante Exposition durch VOC
Die ermittelten Werte wurden mit denen einer Kontrollgruppe von 86 Personen aus der Allgemeinbevölkerung verglichen. „Die Ergebnisse lassen keine toxikologisch relevanten Expositionen durch VOC im Rahmen von FUSE erkennen“, fasst der Studienleiter Dr. Tobias Weiß vom Kompetenz-Zentrum Toxikologie am IPA zusammen. Vor allem ließen sich keine signifikanten Zusammenhänge zwischen den in der Studie von einzelnen Crewmitgliedern berichteten gesundheitlichen Beschwerden und den im Biomonitoring gemessenen Werten finden.
Standardisiertes Verfahren
Das Biomonitoring war mit erheblichem Aufwand verbunden. „Nur ein standardisiertes und qualitätsgesichertes Gesamtverfahren konnte valide Analyseergebnisse sicherstellen“, sagt Dr. Weiß. Dies umfasste neben der Validierung der eigentlichen Analyseverfahren im Labor des IPA auch eine ausführliche Validierung der präanalytischen Phase. Das bedeutet: Alle Abläufe im Vorfeld zur eigentlichen Analyse und die verwendeten Materialien wurden intensiv überprüft. Zunächst wurden mögliche Störfaktoren ausgeschlossen und der gesamte Ablauf der Untersuchungen standardisiert. Dabei wurden unter anderem die Vorgehensweisen bei der Probenentnahme sowie mögliche Einflüsse der Transport- und Lagerbedingungen auf die Proben untersucht.
„Eine Studie mit einem vergleichbar hohen organisatorischen Aufwand haben wir vorher noch nie durchgeführt“, sagt Stephan Koslitz, technischer Laborleiter im Bereich Human-Biomonitoring des IPA. Bei den Voruntersuchungen zeigte sich, dass Gummistopfen aus Butylkautschuk, die zum Verschluss von bestimmten Blutabnahmesystemen genutzt werden, zu einer Verunreinigung der Blutproben mit n-Hexan führen konnten. Entsprechende Systeme wurden deshalb nicht verwendet. Das potenziell neurotoxisch wirkende n-Hexan stand längere Zeit in dem Verdacht, anhaltende Beschwerden bei Crewmitgliedern auszulösen. Im Biomonitoring fand sich jedoch keine höhere Belastung mit n-Hexan der Betroffenen gegenüber der Kontrollgruppe.
Die praktische Phase der Studie begann im November 2018 und endete im Februar 2020. In diesem Zeitraum konnten sich Crews, die ein FUSE erlebt hatten, an insgesamt zwölf deutschen Flughäfen untersuchen lassen. Geschulte Durchgangsärzte nahmen Proben der Beschäftigten und füllten mit den Betroffenen einen Fragenkatalog aus. Die Proben kamen spätestens nach 48 Stunden im IPA an und wurden dort umgehend bearbeitet.
Messwerte nicht auffällig
Die jetzige Studie schloss sich an eine vorherige Studie (FUSE-I) an. In der FUSE-I-Studie hatte das IPA – ebenfalls im Auftrag der BG Verkehr – mehr als 300 Urinproben von Crewmitgliedern mit selbst berichteten FUSE bereits auf andere potenziell neurotoxische Substanzen untersucht. Dazu gehörten vor allem Gefahrstoffe aus der Gruppe der Organophosphate. Gesundheitsgefährdende Konzentrationen an diesen Stoffen im Urin konnten jedoch weder in der ersten FUSE-I-Studie noch aktuell in FUSE-II gefunden werden.
Eine Besonderheit von FUSE-II war nicht nur die Erweiterung des Untersuchungsspektrums auf VOC, sondern auch die Ergänzung des Parameterspektrums um einen Effektparameter, nämlich der Aktivität der Acetylcholinesterase im Blut. Im Falle einer neurotoxisch relevanten Exposition gegenüber einem oder mehreren zusammenwirkenden Organophosphaten kommt es zu einer Hemmung der Aktivität der Acetylcholinesterase, einem äußerst wichtigen Enzym für die Nervenleitung. Auch bei diesem Effektparameter konnten in der FUSE-II-Studie keine Veränderungen bei betroffenen Crewmitgliedern und auch keine Unterschiede zu den Kontrollprobanden beobachtet werden.
Fazit aus beiden Studien: In der Mehrzahl der untersuchten Proben waren die gesuchten Stoffe zwar messbar, die Werte des von FUSE betroffenen Flugpersonals jedoch nicht signifikant unterschiedlich zu denen der Kontrollgruppe. „Wir konnten wissenschaftlich nicht bestätigen, dass die Stoffe, die bislang in der Diskussion stehen, die berichteten Beschwerden auslösen“, erklärt Dr. Tobias Weiß die Ergebnisse. Besonders n-Hexan und Toluol standen hier bisher im Fokus, waren aber nicht auffällig. Bei wenigen, einzelnen Crews fanden sich im Vergleich zur Kontrollgruppe jedoch leicht höhere Werte an n-Heptan, n-Octan oder n-Decan. „Die Unterschiede waren aber nicht signifikant. Interessanterweise war bei den Crews, bei denen sich höhere Werte fanden, jeweils nur einer dieser Parameter erhöht. Wir suchen derzeit noch nach der Ursache für diese Auffälligkeit“, sagt Dr. Weiß. Sicher ist, dass diese Substanzen nicht in Turbinen- oder Hydraulikölen zu finden sind. Es muss also andere Quellen geben.
Aus Sicht der BG Verkehr bringen die Biomonitoring-Ergebnisse beider FUSE-Studien nun deutlich mehr Klarheit rund um das Thema. „Wenn wir von der Nadel im Heuhaufen sprechen, dann ist dieser mit dem nun vorliegenden Studienergebnis deutlich kleiner geworden. Keiner der untersuchten Stoffe zeigt in dieser Studie das Potenzial, die gesuchte Nadel zu sein“, kommentiert Dr. Jörg Hedtmann, Leiter des Geschäftsbereichs Prävention der BG Verkehr. Die Expertinnen und Experten der Berufsgenossenschaft, so Hedtmann, werden sich die Ergebnisse sehr genau ansehen und prüfen, wo es zusätzlichen Informationsbedarf gibt. Dabei wird die Diskussion der Ergebnisse der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Studie eine zentrale Rolle spielen.
Hintergrund Fume- and Smell-Events
In Flugzeugen treten immer wieder und aus unterschiedlichen Ursachen Gerüche auf, die unangenehm sind und denen man im Flugzeug nicht ausweichen kann. Bei den meisten Verkehrsflugzeugen wird die Frischluft für Kabine und Cockpit an den Triebwerken als sogenannte Zapfluft (Bleed Air) abgegriffen. Bei diesem Vorgang kann es zum Eintrag von geringen Mengen von Ölen oder deren Zersetzungsprodukten in die Luftströmung kommen. Die BG Verkehr beschäftigt sich deshalb seit einigen Jahren intensiv mit der Frage, ob aus diesem Vorgang oder auch aus Gerüchen anderer Ursache Gefährdungen für die Gesundheit von Crewmitgliedern und Passagieren erwachsen können.
Über die BG Verkehr
Die BG Verkehr ist die gesetzliche Unfallversicherung für die Verkehrswirtschaft, Post-Logistik und Telekommunikation. Bei ihr sind rund 1,7 Millionen Menschen versichert. Sie berät in den fast 200.000 Mitgliedsunternehmen zur Prävention und sorgt nach Arbeitsunfällen und bei Berufskrankheiten für die Behandlung, Rehabilitation und Entschädigung ihrer Versicherten.
Artikelaktionen